Thursday, April 30, 2015

Mögliche Werdegänge im Leben eines Expats: meine Bemerkungen

Bald ist es für mich so weit, nach einem Aufenthalt von dreieinhalb Jahren in Vietnam anderswo zu leben. Unsere Gesellschaft, unsere Freundeskreise, unsere Perspektiven werden in der Tat immer globaler. Jetzt am Ende meiner Zeit hier fällt mir Einiges ein, wo ich als "Expat" (ein Wort, das ehrlich gesagt im Endeffekt soviel wie "betuchter Ausländer" bedeutet) begonnen habe und wo ich jetzt stehe. Meine Laufbahn dabei sieht bestimmt nicht genau so aus wie die von anderen Menschen, sie wird ja manchen Menschen sogar unerkennbar sein. Dennoch glaube ich, ich habe mit anderen etwas gemeinsam. Vielleicht nur mit den Leuten, die ähnliche Werte und Hintergründe haben, aber egal. Ich fasse meine Erlebnisse kurz zusammen. 

Im Januar 2012 zog ich nach Saigon (Ho-Chi-Minh-Stadt) mit meinem damaligen Freund -- mittlerweile Ehemann -- um. Er ist Amerikaner vietnamesischer Abstammung. Nach drei längeren Aufenthalten in Deutschland war es für mich das erste Mal, in Asien zu leben und überhaupt das erste Mal in einem Entwicklungsland. Ich war 28 Jahre alt. Keiner von uns konnte damals sagen, wie lang wir bleiben wollten bzw. würden.

1. Man ist [sprich: ich war] am Anfang trotz aller Vorbereitung ahnungslos. Dies sollte man erkennen und akzeptieren. Wer glaubt, viel vom Zielland zu verstehen, bloß weil er Reisebücher gelesen hat, der mag sich wohl irren (solche Lektüre dient meiner Erfahrung nach dazu, höchstens Interesse zu wecken). Fakten sind in der Regel nicht dasselbe wie Einsichten, auch wenn sie wichtig sind. Vor allem ist Bescheidenheit vonnöten -- wer von der ersten Welt in die dritte Welt rüberwandert wird oft mit seiner eigenen Arroganz konfrontiert. Was einem nicht sofort gefällt, versucht er am besten zunächst zu ignorieren.  

2. Arm sein ist ein Vorteil. Wer als Ausländer arm oder mindestens nicht reich ist -- besonders in Entwicklungsländern wie Vietnam -- hat vielleicht mal eine Chance, wenn keine Garantie, die Leute zu verstehen und an ihrer Welt teilzunehmen. Huyen und ich hatten zu Beginn unseres Vietnamlebens zunächst keine Arbeit, nur Spargelder, die uns 6 Monate reichen sollten. Wir mussten kochen, wir mussten in der Straße essen, wir mussten eine billige Unterkunft finden. Wir sind im ersten Jahr fast immer mit dem Fahrrad oder mit dem Bus gefahren. So lernt man die Stadt und das Volk auch besser kennen. Mit Geld kannst du eine Mauer um dich bauen. Ohne Geld musst du einigermaßen damit zurechtkommen, wie Einheimische das auch schaffen. Ohne Geld wird man gezwungen, nach Kompromissen zu suchen, anstatt nur den Bequemlichkeiten der Heimat.

Dafür aber: zu arm sein macht kaputt. Zu arm sein heißt nervös sein. Und zu viel Veränderung zu schnell macht auch kaputt. Hauptsache, man versucht, irgendwie eine Bilanz zu ziehen. Auch wenn das einem nicht sofort gelingt.  

3. In den ersten Monaten besteht die beste, vielleicht auch die einzige Gelegenheit, die Sprache des neuen Landes zu lernen. Wer es länger als ein Jahr lang schafft, im Ausland zurechtzukommen ohne der örtlichen Sprache mächtig zu sein, wird auch langsam zu faul, sich mit der riesigen Herausforderung auseinanderzusetzen, diese zu lernen. Ich kenne schon viele Leute, die seit 8, 10, sogar 20 Jahren im Ausland leben, ohne über auskömmliche Sprachkenntnisse zu verfügen, die für etwa eine einfache Taxifahrt erforderlich sind (in Vietnam ist man verwöhnt, man braucht nur dem Taxifahrer die Adresse schriftlich zu zeigen). Versuchst du ihnen auch das kleinste bisschen beizubringen, etwa die richtige Aussprache eines Alltagswortes, bleiben sie meistens stecken. Sie sind wegen ihrer frühen Misserfolgen noch überzeugt, sie können das nicht. 

Mir wird nach 3 Jahren immer wieder die Frage gestellt, wie lange ich im Land schon lebe, da mein Vietnamesisch so gut sei. Mit der Antwort "ba năm rồi" sind die meisten Leute zufrieden, aber dafür muss ich immer schnell hinzufügen: die Länge ist an sich eigentlich egal, 80% meiner Vietnamesischkenntnisse habe ich innerhalb meiner ersten 10 Monate im Land erworben, seitdem ruhe ich mich leider etwas auf meinen Lorbeeren aus.

Was Vietnamesisch betrifft: sie ist eine von der Grammtik her grandios simple Sprache, die dennoch sehr schwer für den westlichen Mund auszusprechen ist. Das Zeitfenster schließt sich schnell, dieses beträchtliche Hindernis zu überwinden. Was aber nicht heißt, dass es nicht machbar ist! Die im Punkt 1 erwähnte Bescheidenheit betrifft auch Sprache: Wer sich weigert, die Sprache des Auslandes zu lernen, baut eine weitere Mauer um sich herum.

4. Auf Dauer erkennt man seine Grenzen. Selbst wer im Ausland jahrelang bleibt, selbst wenn er oder sie ursprünglich vorhatte, das neue Land in sich aufzunehmen und sich selber zu verwandeln, wacht eines Morgens auf und findet, einiges am Aufnahmeland ist entsetzlich. Dieser Schritt ist notwendig und gesund, wenn auch schmerzhaft. Zum Glück erlebte ich meinen schwierigsten solchen Absturz schon vor meiner Vietnamzeit, und zwar in Deutschland. 

5. Auf Dauer kehrt man im Inneren zur "Heimat" zurück. Man vermisst sie, man vermisst das Essen, man vermisst seine Muttersprache, man vermisst das Gefühl, immer davon ausgehen zu können, er wird ohne Weiteres verstanden. Wirklich verstanden. Ohne irgendwelche Bemühungen auf beiden Seiten verstanden. Die Zielsprache nervt, hört sich unglaublich hässlich an. Man beginnt sie zu verachten, in der Dusche zu verspotten. Das Essen wird plötzlich ekelhaft. 

Gerade, wenn man sich in dieser Phase befindet, wird es wichtig zu verstehen, dass die erlebten Probleme genauso viel mit sich selbst zu tun haben wie mit der Außenwelt. Wenn du es aus Unzufriedenheit anderen -- unschuldigen -- Menschen verübelst, dass sie so sind wie sie sind, dann musst du dich halt im Spiegel anschauen und bedenken, wie du selber deine Probleme lösen kannst.  

6. Danach bleibt man meistens etwas skeptisch, ob es sich lohnt, sich der Kultur, der Sprache, der Gesellschaft des Auslandes zu widmen. Zwar macht man es noch, aber mit weniger Energie, mit weniger Enthusiasmus. Stattdessen findet man in anderen Expats eine Quelle von Trost. Manche beginnen das Leben im Ausland mit einer Suche nach anderen Expats. Eine sehr vernünftige Entscheidung, je nachdem, was man sich von seinem Auslandsaufenthalt überhaupt wünscht. Ich natürlich finde es schade, wenn man sich nicht mindestens daran versucht, wenn man sich nicht ernsthaft und bedeutungsvoll mit der örtlichen Gesellschaft auseinandersetzen will. Dafür kostet dies sehr viel Zeit und gelingt nicht jedem, auch nicht jedem, der nur Wohlwollen im Herzen hat. Das verstehe ich. Und nicht jedes Land macht es gerade leicht -- Vietnam zum Beispiel ist alles andere als transparent. Nichtsdestotrotz bin ich nach wie vor der Meinung: je mehr du dich bemühst, desto mehr bekommst du selber davon. 


Eine Vietnamesin bringt einem Amerikaner Vietnamesisch bei. Na gut, dieser Amerikaner wuchs mit Vietnamesisch zu Hause auf, aber dafür kennt er Vieles nicht. 

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